Ruf mal Herrn Jakowitz an, der Trockner geht nicht
Es gibt so ein paar Mangel-Erinnerungen aus der Vergangenheit, die man sich lange nicht vorstellen konnte und die heute erst wieder hervortreten. Der Mangel an Handwerkern zum Beispiel. Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Eltern kurz vor der Wende über sieben Ecken einen Fliesenleger aufgetan hatten, der nach Feierabend unser Bad fliesen kam. Ohne ein paar Wurstbrote und ein paar Flaschen Bier zusätzlich zur Aufdiehand-Bazahlung ging da gar nichts. "Pfuschen" gingen wohl viele Handwerksleute nach der Arbeit, denn sie waren heiß begehrt. Unseren Bier trinkenden Fliesenleger, der trotz latenter Fahne astrein gerade Fliesen an die Wände manifestierte, hab ich nie wieder gesehen (durfte mich jedoch vor ein paar Jahren beim Versuch diese Fliesen wieder abzukriegen, wutschnaubend und am Bosch-Hammer vibrierend noch mal an ihn erinnern). Andere hab ich bei meinen Eltern immer wieder gesehen. Besonders Elektromeister Dietmar Jakowitz wurde über die Jahre fast in den erweiterten Familienkreis aufgenommen, so oft hatte er bei uns zu tun. An den Maschinen in der Textilreinigung meiner Eltern gab es viel Elektrik und also auch viel zu reparieren. Es kam nicht nur einmal vor, dass ich nach der Schule im "Laden" vorbei kam und auf meinen Vater traf, der Herrn Jakowitz gerade einen Phasenprüfer in die Trocknertrommel reichte. Mein Vater über die verdammte Kiste fluchend, Herr Jakowitz mit ruhigem Tüftlerblick "na das kriegma schon hin" murmelnd. Als meine Eltern dann in den Ruhestand gingen, war Herr Jakowitz eigentlich auch längst Rentner. Machte nur noch hier und da etwas kleines, denn sein Gewerbe lief natürlich noch. Und nach wie vor wurde er angerufen, wenn es eine Dose umzuklemmen gab oder wie auch immer das im Fachjargon heißt. Als ich ihn das letzte Mal bei uns im Haus in Aktion erlebt habe, musste ich ihm beim Festschrauben der einen oder anderen Klemme schon behilflich sein, die Hände wollten nicht mehr so richtig. Das sollte dann jetzt aber auch wirklich der letzte Auftrag sein. Jetzt wollte er "nischt mehr" machen. Ein gutes Jahr ist das jetzt her. Zwischendurch dachte ich immer wieder mal "müsste man eigentlich ma' Herrn Jakowitz anrufen" aber dann blieb der Trockner eben kalt oder der Schalter am Herd kaputt.
Nun ist Dietmar Jakowitz gestorben. Und seine unaufgeregte handwerkliche wie menschliche Klasse fehlt. Neue Trockner kriegt man billig im Internet, Typen wie ihn nicht.
Tomaten im Winter
"Die schmecken nur nach Wasser." "Die sind mir viel zu schrumpelig." "Ich esse nichts rotes." "Du Nachtschattengewächs!" "Gehäutet und Gehackt im eigenen Saft."
Denke ich an Tomaten, fallen mir merkwürdigerweise nur lauter negative Schlagworte ein. Dabei sollten es doch eher Loblieder sein, auf die vielseitigste der heimischen Gemüsesorten. In meiner Kindheit war die Tomate eine in spitzen Papiertüten verkaufte Kostbarkeit, die zu Hause so verehrt wurde, dass es heute kaum noch vorstellbar ist. Mama's Tomatensuppe gab es nur zu hohen Feiertagen und erzielte stets höchste Oh- und Ah-Bejubelung der Tischgäste. Wenn im Sommer die ersten Tomaten in der freitäglichen Gemüsekiste* aus der "Vitamine" nach Hause kamen, gab es am Abend Butterschnitten mit dünnen Tomatenscheiben für die ganze Familie. Manchmal mit darüber liegenden noch dünneren Zwiebelscheiben, immer jedoch mit viel Salz und Pfeffer.
Die Liebe zur Tomate erfuhr dann mit der Wende einen Dämpfer, denn die nun in großen Mengen verfügbaren, unter immer mehr Plastik vergrabenen Aldi-Paradeiser sahen zwar immer makelloser aus, schmeckten dabei doch immer weniger paradiesisch. Die Holland-Tomate wurde zum Schimpfwort, könnte man sagen. Und auch die Lifestyle-Magazin-Beteuerungen - "auch die nach nichts schmeckenden Wintertomaten aus Holland haben die gleichen wichtigen Inhaltsstoffe, wie die sommerliche Strauchtomate aus dem Garten" - konnten daran nichts ändern. Geholfen hat da nur die freiwillige saisonale Abstinenz.
Es hat etwas gedauert, aber heute ist der Winter für mich wieder die nur durch ein paar Kirschtomaten hier und da unterbrochene Sehnsuchtszeit. Bis es bei der alten Gärtnerin wieder die ersten eigenen gibt. Und später dann die unzähligen Sorten von der grün-rot gestreiften mit der festen Schale bis zur faustgroßen, schrumpeligen und herrlich aromatischen Fleischtomate. Vorfreude ist tatsächlich auch hier die schönste Freude.
*die Gemüsekiste aus dem städtischen Gemüseladen "Vitamine" am Rathausplatz (heute die Thalia-Buchhandlung) soll mal eine eigene Geschichte bekommen, irgendwann…