Witz komm raus
Extrem laut und unglaublich komisch. Und dann war da noch ein Gespräch mit einer Ministerin. Zittau - meine Woche im Februar 2024

Neulich hab ich irgendetwas seichtes bei Netflix geschaut und die ganze Zeit gedacht, gleich wird etwas schlimmes passieren. Irgendjemand hat einen Horror-Unfall, irgendwer stellt sich doch als fieser Schurke heraus, unheilbare Krankheit, Tränen, Verzweiflung. Und dann passierte: Nichts dergleichen. Abspann, Ende. Tatsächlich niemand tot. Ich bin offenbar irgendwie gar nicht mehr in der Lage, entspannt eine Geschichte zu verfolgen, die ohne Extreme verläuft. Auf und ab, klar, aber eben nicht laufend Katastrophen. Im Fernsehen ist heute gefühlt jeden Tag Apokalypse. Früher gab es alle paar Monate einen neuen Tatort, heute gibt es täglich mehrere Krimis überall. Früher wurde im Film mal einer böse verhauen, heute muss ich nach Verkehrsunfällen die gespaltenen Schädel sehen, bin mitten drin bei Vergewaltigungen und bestialischen Morden - alles so schön authentisch hier. Als es das Genre Horrorfilm noch in den Videotheken gab, konnte ich dem durch dran vorbeigehen einfach ausweichen, heute verfolgt mich das Grauen ins tägliche Streamingprogramm hinein. Ich möchte gar nicht wissen, was man in Filmen des Genres "Horror-Movie" heute so zu sehen bekommt…
Hauptsache alles grell, schockierend, am besten irgendwie skandalös. Die Tatsache, dass das jetzt alle so machen führt dazu, dass man oft angeekelt, aber doch immer seltener wirklich schockiert ist vom gesehenen. Es überrascht nicht mehr, ich rechne vielmehr ständig mit Schockversuchen.
Ähnlich geht es mir heute oft mit dem, was noch immer gern als Humor bezeichnet wird. Alle versuchen ständig witzig zu sein. Überall werden sarkastisch-ironisch-alberne Finger in Wunden gelegt. Alle machen sich lustig über die entlarvte Dummheit anderer. Was vor ein paar Jahren noch auf piefigen Westberliner Kabarett-Bühnen zelebriert wurde, ist dank sozialer Netze heute überall und immer. Der Kanzler hat Wumms gesagt, lass mal ein paar Memes draus machen. Und reimt sich nicht irgendwas albernes auf Ampel? Die Kabarettisierung des Abendlandes ist in vollem Gange und niemand scheint sich daran zu stören. Vielmehr kalauern alle mit. Auch hier macht sich dabei langsam ein Sättigungsgefühl breit. Und auch hier begegnen die Protagonisten der Ermüdung des Publikums mit dem Aufdrehen der Lautstärke. Was Satire darf? Na alles natürlich! Die einen gröhlen mit Mario Barth, die nächsten fühlen sich schöngeistig mit Christian Ehring, Micky Beisenherz hat eine neue Robert Habeck Parodie, Ricky Gervais sagt live im Fernsehen "Cunt" - was haben wir gelacht. Selbst auf Montagsdemobühnen in der Provinz kennt heuer Witzigkeit keine Grenzen und kein Pardon.
Ich stumpfe langsam wirklich ab. Alles wird übertrieben. Aktionen sind sensationell oder katastrophal. Superlative überall. Von der Heldin zur Lachnummer über ein wackeliges Video bei X. Alle haben Angst vor Trumps Wiederwahl, lasst uns schnell noch ein paar Memes über seine Solariumbräune machen. Mir brummt der Schädel…
Wir gehen in viel zu laute Clubs und dann kaufen wir uns an der Bar Gehörschutz gegen die Lautstärke. Was n geiler Abend, oder? Dabeisein ist alles…. Ich bin gespannt, ob das irgendwann wieder aufhört - oder ob mir wohl vorher die Birne platzt.
Bedrohte Art
Ich schleiche ja schon eine Weile um das Thema "Eigener Podcast" herum. Sowas will gut durchdacht und vorbereitet und mit Sinn gefüllt sein und dauert dabei irgendwie inzwischen länger, als ich mir das selbst vorgestellt habe. Aber da kommt etwas, denn es macht tatsächlich viel Spaß so ein Quasselformat zu füllen. Ich durfte das inzwischen schon ein paar Mal als Gast ausprobieren und letzte Woche erstmals auch als Gastgeber. Das Görlitzer Politikmastermind Julian Nejkow hat mich gefragt, ob ich als Urlaubsvertretung für seinen kongenialen Co-Host Clemens Kießling einspringen würde. Was für eine Frage. Aber sicher würde ich. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu aufgeregt zuzusagen. Zumal sich für die besagte "Nach meiner Kenntnis sofort"-Episode niemand geringeres als Steffi Lemke, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz angekündigt hatte.
Ich muss gestehen, wenn mich vor dem Interview jemand gefragt hätte, wer denn die zuständige in diesem "Sammel-Ministerium für alle Themen die sonst niemand machen will" ist, wäre ich ins Schwimmen gekommen. Aber von Steffi Lemke hört man halt auch recht wenig in den Netzwerken. Keine Mittagessen-Posts bei Insta, keine markigen Verbalgefechte bei X, während unseres gut 45-minütigen Gesprächs entstand immer mehr der Eindruck, dass sie offenbar in Berlin einfach nur ihre Arbeit macht. Verrückt. Ich hatte das Gefühl, es mit einer sehr uneitlen, ernsthaften aber auch offenen Politikerin zu tun zu haben, die sich ihrer ostdeutschen Herkunft bewusst ist und sich den Menschen hier auch verpflichtet fühlt. Und gleichzeitig wurde mir klar, dass sie einen Typ Politikerin verkörpert, der in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle spielt, seltsam aus der Zeit gefallen wirkt. Wir alle wünschen uns, dass die da oben nicht so viel Selbstvermarktung und publikumswirksamen Zirkus aufführen und ihre Arbeit machen. Seit letzter Woche ist mir sehr klar, dass es das noch immer gibt. Die Mittagessen-Instagrammer sind nur deutlich lauter.
Sobald die Episode online ist, gebe ich ein Zeichen. Hört dann gerne einmal rein und sagt mir Eure Meinung.